Argentinien: Gemüse in Eigenanbau – ein Stachel im Fleisch der Mächtigen?!

Seit den strengen Lockdown-Regelungen zu Beginn der Corona-Krise ist in Argentinien die historisch fragile Wirtschaft erneut ins Taumeln geraten.

Im informellen Sektor brachen praktisch alle Einkommensquellen weg, selbständige Betriebe machten Konkurs. Infolge schnellte die Armutsquote auf 58%, staatliche Zuschüsse und Sozialleistungen können dem seither nur bedingt entgegenwirken, Hunger gehört (wieder) zum Alltag.

Am stärksten betroffen von der Wirtschaftskrise sind die Bewohner*innen der urbanen Ansiedlungen rund um Buenos Aires, wie z.B. Pilar, wo Menschen aus dem Landesinneren und aus Nachbarländern eine Überlebensperspektive suchen. Dort unterstützt die WGT-Partnerorganisation SEDECA eine Frauengruppe, auf freien Flächen Gemüse und Heilkräuter für den Eigenbedarf anzubauen bzw. mit der Vermarktung der Überschüsse zur Ernährungssicherheit in ihrem Stadtviertel beizutragen. Begleitet wird dies mit intensiver Bildungsarbeit zu Frauenrechten und dem Aufbau einer Interessenvertretung mit dem Ziel, die Frauen fit zu machen für die Vertretung ihrer Anliegen in den kommunalen Wirtschafts- und Entwicklungsgremien.

„Natürlich verändert diese kleine Initiative weder die strukturelle Ausgrenzung noch per se die Geschlechterhierarchien“, betonen Macarena und Cecilia, die vor Ort die Trainings organisieren, „aber sie schafft es, dass die Frauen ein positiveres Selbstbild entwickeln und daraus die Kraft schöpfen, um ihre Rechte einzufordern.“ Ein eigenes kleines Einkommen aus dem Verkauf von Überschüssen bedeutet z.B. mehr Einfluss auf familiäre Entscheidungen („Wer zahlt, schafft an“). Die Eigenversorgung der Familie mit gesunden Lebensmitteln geht einher mit der Neubewertung ihrer Schlüsselrolle für das Wohlergehen der Familie („Sorge-Kompetenz“).

Genauer betrachtet, wirkt das Engagement der Frauen in Pilar auch auf ein für Argentinien charakteristisches Strukturproblem ein, nämlich auf die extrem ungleiche Landverteilung: Während die einen ein Stück Land für die Ernährung ihrer Familie suchen - ohne Zugang zu Land ist Ernährungssicherheit undenkbar -, ist den anderen daran gelegen, das verkehrsmäßig gut an das Stadtzentrum angeschlossene Gebiet für den Bau weiterer Freizeit-Clubs und privater Luxus-Wohnanlagen zu nutzen. Insofern ist die Hartnäckigkeit der Frauen, allen Widrigkeiten zum Trotz ein Stück Land für den Eigenanbau zu sichern, auch ein Zeichen des Widerstands: sie sind nicht länger bereit, die Kluft zwischen mittellosen Bevölkerungsmehrheiten und kleinen reichen Eliten klaglos hinzunehmen.

Projekt-Kurzinfo

Projekttitel: Mit kollektiver Produktion und Vermarktung Selbstversorgung stärken
Förderschwerpunkt: Ernährungssouveränität
Partnerorganisation: Secretariado de Enlace de Comunidades Autogestionarias (SEDECA)
Laufzeit: Januar 2022 bis Dezember 2023
WGT-Beitrag: 49.995 €