Leerstelle in Enzyklika

Langjährige Partnerin des Weltgebetstags kommentiert Sozialenzyklika des Papstes.

„Fratelli tutti - über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft“ heißt die neue Sozialenzyklika des Papstes. Darin fordert Papst Franziskus „nationale und wirtschaftliche Interessen dem globalen Allgemeinwohl“ unterzuordnen, wie katholisch.de berichtet. Es geht also um die große Frage, wie „mit dem vereinten Einsatz aller Gutwilligen eine bessere, gerechtere und friedlichere Welt“ aufgebaut werden kann (Vatican News). Dazu sind sowohl staatliche Akteure als auch Einzelpersonen aufgefordert.

Carmiña Navia Velasco ist Literaturwissenschaftlerin und Befreiungstheologin und langjährige Leiterin der Partnerorganisation Centro Cultural Tejiendo Sororidades – CCTS (deutsch: Kulturzentrum Schwesterliche Verbundenheit) in Kolumbien. Während sie die Grundlinien der Enzyklika durchaus begrüßt, kritisiert sie, dass Frauen immer noch unsichtbar seien. In einem Kommentar zu „Fratelli tutti“ schreibt sie:

„Hier sehe ich eine große Lücke in der Enzyklika, welche ich ansonsten großartig finde. Wir Frauen tauchen bei Papst Franziskus definitiv nicht auf, weder mit unseren Anliegen noch in unserer Ausgrenzung. Es versteht sich von selbst, dass Frauen, vor allem unter der armen Bevölkerung, besonders benachteiligt und bedürftig sind. Es ist offensichtlich, dass Frauen die Mehrheit der lateinamerikanischen Migranten stellen, die nach Europa ausreisen, um ihren Kindern, Partnern oder Eltern Geld zu schicken... Frauen, die dort die härtesten und schwierigsten Aufgaben übernehmen müssen… solche, die die Menschen im Norden nicht  tun wollen.

In dieser Welt der Ungerechtigkeiten versäumt er es, die Prostitution als eine der schlimmsten Ausbeutungsformen zu benennen, die wir inmitten von Ausgrenzungsdynamiken zu erdulden haben. Angesichts massiver Migrationsbewegungen hat er nicht auf den Menschenhandel als die große Sünde unserer Gesellschaften hingewiesen.

Franziskus vergisst auch den wirtschaftlichen Weg zur sozialen Freundschaft zu erwähnen, in der Frauen Pionierinnen und Spezialistinnen sind: die Sorgewirtschaft. Die Ökonominnen und Ökonomen, die dazu geforscht haben […] versichern, dass es sich dabei um eine an Werten wie Solidarität und Geschwisterlichkeit orientierte Lebenspraxis handelt, die die Welt verändern kann. Eine Praxis, die uns als Inspiration und Modell für neue Beziehungen und Modelle sozialer und politischer Organisation dienen kann.

Ungeachtet ihrer Geschlechtsblindheit begrüße ich die Enzyklika und wünsche mir, dass die Mächtigen auf diese Stimme hören, die sich die Sache derer zu eigen macht, die zum Schweigen gebracht werden. Es sind jene, die – folgt man den Gesetzen des Marktes – angeblich nicht zählen.“

Auch die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), Mitgliedsorganisation des Weltgebetstags, begrüßt die Offenheit und Entschiedenheit der Enzyklika. So teilt sie den Aufruf des Papstes, Solidarität gerade mit den Ärmsten und Schwächsten, insbesondere den Geflüchteten zu üben und betont die kompromisslose Haltung gegenüber jeder Form von Krieg.

Gleichzeitig vermisst die kfd „selbstkritische Ausführungen im Blick auf die innere Verfassung der Kirche: Hier hätten beispielsweise die gleiche Würde und Wertigkeit von Frauen und Männern mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für Aufgaben und Ämter in der Kirche, die Begrenzungsnotwendigkeit innerkirchlicher Macht oder auch die Kommunikationserfordernisse auf allen kirchlichen Ebenen genannt werden können. Dies ist eine vertane Chance, verlorene Glaubwürdigkeit auch innerkirchlich zurückzugewinnen.“

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