„Johannesburg brennt!“

Wandbild von einem afrikanischen Jungen mit südafrikanischer Flagge

Ein Brief unserer Partnerorganisation Sophiatown über die Notlage von Geflüchteten in Südafrika.

Aus den Konfliktregionen Zentralafrikas und des südlichen Afrikas strömen seit Jahren Flüchtlinge nach Johannesburg. Zahlreiche Frauen und ihre Familien kämpfen dort Tag für Tag ums Überleben. Oft wurden sie im Krieg und auf der Flucht schwer traumatisiert. In Südafrika schlägt ihnen ein extrem fremdenfeindliches Klima entgegen. Hilfe und Unterstützung für Geflüchtete gibt es kaum. Anfang September wurden sie nun ein weiteres Mal Ziel fremdenfeindlich motivierter Gewalt. Geschäfte, die Ausländer führen, wurden geplündert und zerstört. Auch physische Gewalt gegen Ausländer gab es. Der Vorwurf, Ausländer würden Südafrikanern die Jobs wegnehmen, hält sich beharrlich. Die Frustration der südafrikanischen Bevölkerung mit der schlechten wirtschaftlichen Lage im Land entlädt sich somit an denen, die ohnehin alleine dastehen und ohne Unterstützung ums Überleben kämpfen müssen.

Unsere Partnerorganisation Sophiatown Community Psychological Services kümmert sich um die geflüchteten Frauen und ihre Familien in Johannesburg und unterstützt sie dabei, trotz zahlreicher Traumata und Fremdenfeindlichkeit ihr Leben zu meistern. Sophiatown haben sich mit folgendem Brief an ihre Partner gewandt, um uns die Lage vor Ort aus ihrer Sicht zu schildern:

Wieder brennt unsere Stadt! Doch es ist nicht so, dass die Flammen, die jetzt das Leben und den Lebensunterhalt seiner Bewohner bedrohen, aus dem Nichts gekommen sind.

Die Unzufriedenheit schwelt seit Jahrzehnten, und es hat nur wenig seitens der Politik gebraucht, um das Feuer wieder anzuzünden. Sophiatown arbeitet seit 2008 mit Bewohnern und Bewohnerinnen in Johannesburg zusammen. Damals bereits brachten gezielte Angriffe auf diejenigen, die als „fremd“ gelten, die Blase der Regenbogennation zum Platzen und Tausende von Familien wurden vertrieben. Seit 2008 hören wir Frauen und Kindern zu, die uns erzählen, wie ihre Rechte verletzt, ihre Würde untergraben und ihre Handlungsfähigkeit systematisch durch diejenigen zerstört wird, die laut Verfassung verpflichtet sind, für alle in Südafrika lebenden Menschen zu sorgen.

Die Misshandlungen von Frauen und Kindern durch die Hände (oder Worte) von Beamten in den Büros des Innenministeriums, der Schulen, Kliniken und Krankenhäuser haben im Laufe der Jahre zugenommen. Denjenigen, die außerhalb der Grenzen des Landes geboren wurden, wird unmissverständlich gesagt, dass sie hier nicht gewollt sind, dass sie nicht dazugehören und dass ihre Geschichten und ihre Existenz keine Rolle spielen.

Seit Jahren schimpft der Bürgermeister der Stadt in schlecht verhüllten verbalen Angriffen gegen „illegale Einwanderer“. Damit lenkt die Regierung die Aufmerksamkeit weg von ihrem eigenen Versagen. Vor diesem Hintergrund müssen die jüngsten Überfälle gesehen werden, als die  ohnmächtige Wut der Bevölkerung auf einen korrupten Staat, der kein ehrliches Interesse an den Lebensumständen der Armen zeigt, sondern zusieht, wie sich die Wut der Bevölkerung auf jene umlenkt,  die noch gefährdeter sind als sie selbst.

In den letzten Tagen waren die Familien, mit denen wir zusammenarbeiten, in ihren Unterschlüpfen in Yevoille, Betrams, Berea und Bez Valley (Stadtteile von Johannesburg) eingesperrt. Die Kinder konnten nicht zur Schule gehen, die Frauen nicht hinaus, um ihre bescheidenen Waren zu verkaufen oder um Arbeit zu suchen. Auf den Straßen herrschte eine unheimliche Stille des Abwartens, was als nächstes passiert.
Viele dieser Familien haben schwere Traumata in ihren Herkunftsländern erlitten, wo sie Zeugen der Ermordung geliebter Menschen wurden und Vergewaltigungen, Folter, Verfolgung und Vertreibung ausgesetzt waren. Ihre Erfahrungen in Südafrika tragen zu dieser Belastung bei, so dass der Terror, den sie jetzt erleben, eine Anhäufung von Traumata ist, die sie nun bereits seit vielen Jahre erleiden.

Vor ein paar Tagen besuchten wir eine Mutter mit drei Kindern, die sich in einem dunklen Raum eingeschlossen hatte, zu ängstlich, um sich hinauszuwagen. Die Familie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Das 12-jährige Mädchen starrte mit leeren Augen auf das Fenster zur Straße. Der 14-jährige Junge lag auf dem Bett und spielte gedankenlos mit dem kaputten Handy seiner Mutter. Es gab kein Essen, da die Mutter nicht auf die Straße konnte. Der 6-jährige Junge, normalerweise laut und voller Leben und stets mit viel zu erzählen über alles, saß schweigend auf dem abgenutzten Sofa. Wir unterhielten uns und versuchten, etwas Leichtigkeit in den Raum zu bringen, während wir gleichzeitig den Schrecken, der über dem Gespräch hing, wie ein scharfes Messer spürten.

 Und dann flüsterte der 6-Jährige aus dem Nichts etwas in seine hohlen Hände, sein Gesicht von den Besuchern abgewandt. Wir konnten ihn erst nicht verstehen, fragten daher nach, was er uns sagen wollte. Er wandte sich an seine Mutter und seine Geschwister:

„Bringt mich auf einen anderen Planeten“, flüsterte er etwas lauter.

Einen anderen Planeten?

 „Ich möchte auf einen anderen Planeten – wo es keine Kämpfe, keine Flucht gibt".

Was soll aus uns werden, wenn ein kleiner Junge, der in seinem kurzen Leben nichts als Hunger und Gewalt erlebt hat, sich auf unserer Erde keinen sicheren Ort vorstellen kann, sondern sich danach sehnt, auf einen anderen Planeten transportiert zu werden?

In Gedanken und Gebeten sind wir bei den geflüchteten Frauen und ihren Familien in Johannesburg. Aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen von Sophiatown, die sich Tag für Tag an deren Seite stellen und sie dabei unterstützen, Fremdenfeindlichkeit, Isolation und den individuellen Traumata zu trotzen und die Hoffnung nicht aufzugeben, dass das Leben auch auf diesem Planeten ein würdevolles Leben für sie bereit hält.