Dramatische Lage in Cali, Kolumbien

Unsere Partnerinnen in Kolumbien berichten: Die Stadt Cali ist im Ausnahmezustand.

Die Zusammenstöße zwischen Demonstrierenden, Polizei und Militär forderten bereits Dutzende Tote. Es wird von Massakern und Szenen „wie im Bürgerkrieg“ berichtet. Vor allem Jugendliche und die Mittel- und Unterschicht verschaffen ihren Forderungen Gehör.

„Alle stehen unter Schock“ 

Von unserer Partnerorganisation CCTS (deutsch: „Einander Schwestern sein“), die in einem der ärmsten Distrikte der Stadt in der Bildungsarbeit mit Frauen arbeitet, hören wir:

„Bei uns in Comuna 18 ist es schlimm … seit sechs Tagen anhaltend intensive Proteste. Straßensperren, Demos, Krawalle, willkürliche Zerstörung, überall Militärs.

Panik wegen der Schüsse, alle stehen unter Schock, eine einzige, grauenhafte Anspannung. … Einkaufszentren und kleine Geschäfte geplündert. Die Zufahrtswege zur Stadt gekappt, kaum Benzin. Lebensmittel immer knapper, der Brotpreis hat sich fast verdoppelt…. Die zivilen Autoritäten der Stadt haben keinen Einfluss mehr. Infos in den sozialen Medien sorgen für noch mehr Gewalt, Hass und Verwirrung. Ausschreitungen und Radikalisierung allerorten. 

Tote, Verletzte, Verschwundene - ein einziges Drama in den Familien. Wir sehen nicht, wohin das alles führen soll….“

Hört auf, uns umzubringen, nur weil wir für bessere Lebensverhältnisse demonstrieren!

Auch unsere Partnerorganisation CCECH („Kulturzentrum El Chontaduro“) aus dem Distrikt Aguas Blancas (dort leben vor allem Binnenvertriebene) berichtet uns: 

„Seit dem 3. Mai haben wir viele Audios und Videos erhalten, die zeigen, wie die Polizei die Demonstrant*innen mit Tränengas und Schusswaffen angreift, obwohl sie mit erhobenen Händen zeigen, dass sie unbewaffnet sind. Auf den Fotos sehen wir viele Verletzte und Tote … 

General Navarro hat verlauten lassen, sie seien in einer militärischen Unterstützungsaktion zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung unterwegs, um Menschenleben zu retten… Wir aber fragen den Präsidenten, den Verteidigungsminister und die Präsidentin der Regionalregierung:

Sind wir etwa Ihre Kriegsgegner*innen? Hört auf, uns umzubringen, nur weil wir für bessere Lebensverhältnisse demonstrieren!“

„Was wir erleben, ist eine soziale Explosion.“

„Alles, was wir tun können ist zu versuchen, diesen Irrsinn zu stoppen“, sagt Julieth, von CCTS. 

„Was wir erleben, ist eine soziale Explosion. Seit vielen Jahren sehen wir Jugendliche ohne Gegenwart und Zukunft, sie setzen nun angesichts der Aussichtslosigkeit der Situation ihr Leben aufs Spiel. Die Regierung verweigert den Dialog und die Armee antwortet mit Repression. Wir bitten die Jugendlichen inständig: Hört auf damit, euch in dieser Konjunktur verheizen zu lassen, diese Gewaltspirale führt nirgendwo hin! Sicher ist der soziale Protest absolut gerecht und notwendig. Aber jetzt – in diesem Moment – bitten wir euch um Mäßigung. Um der Mütter willen, die um ihre toten und verletzten Kinder weinen, um der Menschen willen, denen das Essen ausgeht, bitten wir euch: Denkt nach!“

Zum Hintergrund:

Am 28. April 2021 beteiligten sich Millionen Menschen in ganz Kolumbien an einem Generalstreik. Unmittelbarer Anlass war die angekündigte Steuerreform (Anhebung von 6% auf 19% für Produkte des täglichen Bedarfs), die Menschenrechtslage (Ermordung von Menschenrechtsaktivist*innen) und die allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung, welche die Umsetzung der im Friedensvertrag 2016 zugesagten Strukturreformen immer wieder hinauszögert. 

„Wenn das Volk in der Pandemie auf die Straße geht, ist es, weil die Regierung gefährlicher als das Virus ist“, lautete einer der immer wieder skandierten Sprüche. 

Unter dem Druck der Bevölkerung musste Präsident Duque die Steuerreform bereits zwei Tage später zurücknehmen, aber er verschärfte landesweit die Repression. Trotzdem sind täglich Tausende Menschen auf Demonstrationen und bei den Blockaden.